Das Herz des Schweizer Justizsystems: Wenn die Justiz selbst im schiefen Licht steht

Das Herz des Schweizer Justizsystems: Wenn die Justiz selbst im schiefen Licht steht

Der Fall Mascotto – oder was sich ein Staatsanwalt alles erlauben kann, um seine eigenen Ziele zu verfolgen

Ein altes Sprichwort – eng mit der Schweizer Tradition verbunden – zeigt auf, weshalb die Schweizer und Schweizerinnen so stolz auf ihre Justiz sind, diese schützen und stärken wollen: «Wenn der Stein die Hand verlässt, gehört er dem Teufel.»

Deshalb ist die Justiz die tragende Säule der Eidgenossenschaft und schützt das Grundrecht aller auf ein faires Verfahren und einen gerechten Ausgang. Wurde der Stein erst einmal geworfen, kann man mögliche Kollateralschäden nicht mehr verhindern, vor allem nicht für Unschuldige.

In Anlehnung an den tieferen Sinn des obigen Sprichworts droht ein komplizierter Fall, der vor etwa sieben Jahren seinen Anfang nahm, den guten Ruf des Schweizer Justizsystems zu schädigen. Dabei erscheint einerseits die Justiz selbst in keinem guten Licht, andererseits muss man sich auch fragen, wie ein einzelner Staatsanwalt dem ganzen Justizsystem einen derartigen Bärendienst erweisen kann – wo er doch einen Eid abgelegt hat, diesem System zu dienen und es zu schützen.

Die eklatanten Beweise, die durch eine jüngste Ynet-Recherche ans Licht gebracht wurden, werfen ernste Fragen hinsichtlich des Umgangs des von der SP ernannten Untersuchungsrichters und Staatsanwalts Claudio Mascotto sowie seiner Rolle im Fall des israelischen Unternehmers Beny Steinmetz und der Anklage gegen ihn auf.

Das Anwaltsteam von Steinmetz hatte Mascotto eine Serie von rechtlichen Irregularitäten bei der Bearbeitung des Falles vorgeworfen und einen Antrag auf Mandatsentzug gestellt. Dies war bereits der zweite Fall, in dem Mascottos Professionalität kritisiert worden war. 2018 wurde er vom Bundesgericht wegen Parteilichkeit vom wichtigen Korruptionsfall Obiang abgezogen.

Letztlich wurde Mascotto im Fall Steinmetz kurzum von zwei anderen Staatsanwälten abgelöst: Yves Bertossa und Caroline Babel Casutt. Kürzlich wurde Babel Casutt von der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts und der Genfer Presse öffentlich für ihre Unzulänglichkeiten in einer separaten Abhöraffäre kritisiert, in den Staats- und Rechtsanwälte verwickelt waren. Dabei wurde ihr Machtmissbrauch vorgeworfen.

Ynet ist die Online-Nachrichtenseite von Jedi’ot Acharonot, der grössten Tageszeitung in Israel, die für die Glaubwürdigkeit und Genauigkeit ihrer Publikationen bekannt ist, mit einer langen Liste exklusiver Enthüllungen.

Die journalistische Untersuchung deckte die Existenz eines geheimen Deals zwischen den Schweizer Behörden und einem geschützten Zeugen auf: Laut dieser Vereinbarung erhält der Zeuge auch in der Schweiz Immunität, wenn er gegen Steinmetz aussagt – eine Aussage, die schliesslich zur Anklage von Steinmetz führte. Das Ganze ist Teil eines grösseren Deals, bei dem der besagte Zeuge in Israel bereits Immunität in einem ganz anderen Fall erhalten hatte.

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Die ursprüngliche Anklage gegen Steinmetz war das Ergebnis einer sieben Jahre dauernden Ermittlung von Mascotto im Zusammenhang mit dem Erwerb von Schürfrechten in Guinea durch die Firma BSG Resources und deren Berater (Steinmetz unterstützte BSGR bei der internationalen Expansion). Gemäss der Verteidigung von Steinmetz war es eine seltsame und merkwürdige Besessenheit, die Mascotto zu einer Reihe von Irregularitäten und Verstössen gegen das Recht auf ein faires Verfahren veranlasste.

Quellen in Israel haben bestätigt, dass es tatsächlich Dokumente gibt, die den geheimen Deal zwischen dem geschützten Zeugen und den israelischen Behörden belegen und die Journalisten einsehen konnten. Sie bleiben sie jedoch anonym, da ein israelisches Gesetz die Veröffentlichung von Informationen über den Fall verbietet.

Auch wenn sein Name in Israel nicht veröffentlicht werden darf, können wir berichten, dass es sich bei dem in dem Artikel genannten Zeugen um Ofer Kerzner handelt. Der israelische Geschäftsmann war einer der – wenn nicht DER – Kronzeuge gegen Beny Steinmetz im Schweizer Prozess. Kerzner und Steinmetz waren in Guinea Geschäftspartner, als sich die BSGR die Schürfrechte für eines der grössten Eisenvorkommen der Welt sicherte. Steinmetz wurde später beschuldigt, sich diese Rechte durch Bestechung gesichert zu haben, insbesondere durch Schmiergeldzahlungen an die vierte Frau des verstorbenen Präsidenten von Guinea, Mamadie Touré. Obwohl Beny Steinmetz als perfekter Schuldiger galt, beteuerte er stets seine Unschuld, und der Fall bereitete der Staatsanwaltschaft beträchtliche Schwierigkeiten.

Laut den Anwälten von Steinmetz ist die Tatsache, dass es sieben Jahre bis zur Anklage dauerte ein Hinweis dafür. Es gab praktische Probleme: Beispielsweise gab es keine Belege für Geldtransfers zwischen Steinmetz und Mamadie Touré, und der Präsident von Guinea war bereits verstorben, als die angebliche Bestechung stattfand. Hier kam Kerzner ins Spiel, der Steinmetz beschuldigte. Kerzner hat tatsächlich ausgesagt, dass er von Steinmetz Geld erhalten hatte, um bestimmte Personen zu bezahlen. Geld, das er seinem Partner Frédéric Cilins gab, der wiederum einen Betrag an die vierte Frau des Präsidenten von Guinea gezahlt hat. Cilins bestritt kategorisch, dies auf Anweisung von Beny Steinmetz getan zu haben. Dennoch war Kerzners Aussage für Steinmetz sehr negativ.

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Von Anfang an hatte Steinmetz vor Gericht argumentiert, dass die fraglichen Transaktionen und Zahlungen echt waren und aus buchhalterischen Gründen im Zusammenhang mit verschiedenen Unternehmen und rechtmässigen Partnerschaften erfolgten, die zu dieser Zeit in Guinea geführt wurden. Steinmetz beharrte darauf, dass sie nie für etwas anderes bestimmt waren. Dies bedeutet, dass Kerzners Aussage der einzige Beweis für sein Vergehen ist. Ausserdem sagte Steinmetz vor Gericht aus, dass Kerzner 13 Millionen Dollar für sein Stillschweigen verlangte. Und Kerzner hat diese Anschuldigung nie bestritten.

Allerdings blieben noch Fragen offen, insbesondere, weshalb Ofer Kerzner nicht auch strafrechtlich verfolgt wurde, da er im Grunde zugegeben hat, Gelder überwiesen zu haben.

Der nun von Ynet veröffentlichte Artikel bringt Licht in die ganze Angelegenheit, da er beweist, dass Ofer Kerzner einen Deal mit Mascotto gemacht hatte, um auszusagen. Nur hatte Mascotto diesen Deal den Schweizer Behörden nicht offengelegt, was ihn praktisch unrechtmässig machte.

Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die israelischen Behörden gegen Beny Steinmetz ermittelt hatten, ihn aber im Juli 2022 von allen Anschuldigungen freisprachen.

Auch gegen Kerzner ermittelte die israelische Polizei, da es israelischen Staatsangehörigen nach israelischem Recht untersagt ist, Staatsbeamte im Ausland zu bestechen. Aufgrund der Vereinbarung, ihn zum Kronzeugen zu machen, wurde ihm jedoch Immunität gewährt. Dabei ist zu erwähnen, dass die Immunität, die Ofer Kerzner von Israel gewährt wurde, mit seinen Geschäften in der Ukraine zu tun hatte. Allerdings umfasste sie alle Vergehen, also auch in Guinea. Aus dem Ynet-Artikel geht klar hervor, dass Israel die Anonymität von Kerzner aufrechterhalten will, um weitere Reibereien mit Russland zu vermeiden.

Die Schweizer Justiz verfolgt Steinmetz jedoch weiterhin. Nachdem Steinmetz wegen der Korruptionsvorwürfe zu einer fünfjährigen Haftstrafe und einer Geldstrafe in Höhe von 50 Millionen Schweizer Franken verurteilt worden war, wurde seine Strafe vom Berufungsgericht auf drei Jahre herabgesetzt, von denen er 18 Monate absitzen muss. Während des gesamten Verfahrens kam es zu einigen seltsamen Zwischenfällen.

Nach den sieben Jahren andauernden Ermittlungen unter der Leitung von Staatsanwalt Mascotto und der Einreichung einer Anklageschrift stellte Steinmetz beispielsweise einen Antrag auf Mandatsentzug, da der Staatsanwalt es versäumt hatte, geheime Besuche in Israel und Treffen offenzulegen, die den Angeklagten nicht dargelegt wurden.

Die Recherchen von Ynet scheinen die Behauptung der Verteidiger von Steinmetz zu untermalen, dass der Schweizer Sonderstaatsanwalt in diesem Fall Israel innerhalb von zwei Jahren zweimal heimlich besucht hat, obwohl das Gerichtsverfahren gegen Steinmetz nach Schweizer Recht völlig transparent sein sollte. Mascotto besuchte Israel im Geheimen vom 7. und 9. März 2017 und vom 3. und 5. Februar 2018, zusammen mit anderen Beamten (Analysten) der Schweizer Staatsanwaltschaft. Die Besuche wurden nicht gemäss dem offiziellen Protokoll für Rechtshilfeersuchen zwischen Ländern in internationalen Fällen koordiniert.

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Obwohl das Gesuch ursprünglich abgelehnt wurde, kündigten Mascotto und die Genfer Staatsanwaltschaft überraschend die Einsetzung neuer Staatsanwälte (Y. Bertossa und C. Babel Casutt) an, die im Namen der Genfer Behörden die Anklage führen sollten. Das Bundesgericht wies darauf hin, dass die Entscheidung über die Begründetheit des Gesuchs bezüglich den nicht offengelegten Besuchen von Mascotto im Ermessen der Richter liege. Das Gericht war jedoch nicht damit einverstanden, Mascotto in den Zeugenstand zu rufen, und hielt den Mandatsentzug und damit die Annullierung des gesamten Prozesses aus diesem Grund für nicht gerechtfertigt.

Eine weitere auffällige Tatsache ist, dass die Hauptzeugen trotz des Vernehmungsantrags von Steinmetz nicht vorgeladen wurden. Obwohl Mamadie Touré in dem Fall eine Schlüsselrolle spielte, sagte sie während des Verfahrens nicht aus, und wurde von der Verteidigung nie ins Kreuzverhör genommen.

Darüber hinaus wirft die Verteidigung von Steinmetz ernsthafte Zweifel an den Motiven und der Legitimität des Prozesses von Anfang an auf, zumal ein Ersuchen, das den Staat Guinea betrifft, bei der Genfer Generalstaatsanwaltschaft und nicht bei den Schweizer Bundesbehörden eingereicht wurde, die normalerweise solche Fälle bearbeiten.

Es besteht ein grosser Unterschied von der Schuld einer Person überzeugt zu sein, ja, es vielleicht zu wissen, und es beweisen zu können. Es gibt jedoch noch etwas viel Wichtigeres als die Frage, ob Steinmetz schuldig oder unschuldig ist. Und das ist nichts anderes als das Herz des Schweizer Justizsystems. Für das Land, in dem die Justiz als «Kronjuwel» gilt, steht viel auf dem Spiel. Sollte sich herausstellen, dass die Verfolgung und Verurteilung eines Mannes auf illegalen Machenschaften eines Staatsanwalts beruhte, wäre das ein enormer Schlag für die Schweizer Justiz. Noch fataler wären die Folgen für das internationale Ansehen.

Mehr über die Recherche von Ynet:

https://www.ynetnews.com/article/symtix0cp

Mehr zum Fall Obiang:

https://www.tdg.ch/recusation-du-procureur-dans-laffaire-obiang-525419149376

Mehr zum Fall der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts:

https://www.letemps.ch/suisse/geneve/geneve-details-decision-recuse-procureure-apres-laffaire-ecoutes-impliquant-avocats 

 

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